Die Geschichte der Kunst folgt in Afrika anderen Bahnen als in Europa. Die Kunst Afrikas steht scheinbar unveränderlich in Raum und Zeit. Die Kunstgeschichte Europas hingegen wird bestimmt vom unaufhörlichen Wandel. Im Austausch mit fremden Kulturen empfing Europa immer wieder neue Anregungen und eignete sich neue Kunstformen zum Ausdruck eigener Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandte sich Europa erstmals afrikanischen Vorbildern zu, nachdem es Jahrhunderte hindurch antiken und asiatischen Anregungen gefolgt war. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschütterte eine tiefgehende Krise das Geistesleben Europas. Künstler und Wissenschaftler suchten neue Formen zum Ausdruck ihrer widersprüchlichen Gefühle und Anschauungen, die in den alten Kunstformen nicht darzustellen waren. Sie fanden sie in der afrikanischen Folklore. In den Museen und Sammlungen entdeckten sie eine Kunst, deren Werke Jahrzehnte zuvor als koloniale Beutestücke mit Kalebassen, Jagdtrophäen und Schädeln nach Europa gebracht worden waren. Ozeanien und Südamerika, aber vor allem Afrika waren die Heimat einer Kunst, die so völlig anders war als die traditionelle europäische. Vereinfachend, abstrahierend, die »Schönheit« der althergebrachten Welt verachtend, drückten die Schnitzwerke und Plastiken der »Naturvölker« viel tiefere Wahrheiten aus als die hohlen Formen mancher akademischer Kunstübung. Die unverfälschten Werte afrikanischer Kunst wurden bald umstritten, von dem einen kritiklos idealisiert, von dem anderen nicht begriffen und verdammt. Der Expressionismus verarbeitete manches Kunstprinzip Afrikas oder kopierte es, ohne seinen Sinn zu kennen. Jene Symbolwelt, dem Afrikaner seit Jahrhunderten vertraut, war für den Europäer mit dem mystischen Schauer des Unerklärlichen, der »Wildheit« umgeben. Bald berief man sich auf die traditionelle Abstraktion in der afrikanischen Kunst, um die Form aufgeben zu können. Übersehen wurde dabei jedoch das völlig andere Wesen der afrikanischen Abstraktion, die das Unwesentliche vernachlässigt, um das Wesentliche durch die Form deutlicher ausdrücken zu können. Die Symbolkunst Afrikas ist nicht »abstrakt« im Sinne der modernistischen Kunst Westeuropas und Amerikas. Symbole spielen in den nationalen Traditionen oft eine unterschiedliche Rolle. Für den Europäer sind die Tonkombinationen seiner Musik konkrete Aussagen, der Inder »liest« die Handhaltungen seiner Tänzerinnen, die uns bestenfalls als meisterhafte Akrobatik erscheinen, und für den Afrikaner ist das Bildsymbol ein inhaltlicher Wert', während wir daran nur die Form bewundern. Was dem Europäer an der afrika-nischen Kunst als »Abstraktion« vom Inhalt, als »Form an sich« geboten wird – ist also in Wahrheit Abstraktion von der überflüssigen Form zum Ausdruck eines Inhalts, den nur na-tionale Tradition verständlich macht. Die Übernahme afrikanischen Kulturgutes durch Europa blieb zumeist äußerlich, auf die Form beschränkt. Das Fremde, Bizarre lockte. Es wurde oft als »die Kunst an sich« mystifiziert – und die wirkliche Erforschung afrikanischer Kunst blieb wenigen überlassen. Diese Mystifizierung der afrikanischen Kunst erwies sich als geistige Fessel, die der Kolonialismus dem Europäer anlegte. Afrikas Kultur blieb der Völkerkunde vorbehalten, deren bedeutendste Vertreter bereits zu einer historischen Sicht Afrikas kamen.